46 Jahre musste dieser Stephen King nun auf seine erste Verfilmung warten, weil sich vorher nie wirklich jemand an diesen Stoff gewagt hat. Ein langer Weg, den auch die Protagonisten im Film zurücklegen müssen. Und wer gewinnt am Ende? Definitiv der Zuschauer.
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Worum geht’s?
50 junge Männer melden sich zum jährlich stattfindenden „großen Marsch“ an. Der Major (Mark Hamill) inszeniert dieses Spektakel, um an die Leidensfähigkeit und Aufopferungsbereitschaft der Bevölkerung zu appellieren. Denn die USA haben nach einem nicht näher genannten großen Krieg die weltweite Vorherrschaft verloren, es herrscht eine Militärdiktatur und die Menschen leiden Hunger. Hoffnung auf ein besseres Leben gibt es unter anderem für den Gewinner des großen Marsches. Dessen Ziel ist simpel wie brutal: Am Ende als einziger noch übrig zu sein. Denn wer schlapp macht oder zu langsam wird, erhält nach drei Verwarnungen die Disqualifikation durch einen Kopfschuss. Dessen sind sich auch Ray Garrity (Cooper Hoffman) und Peter McVries (David Jonsson) bewusst – und nehmen trotzdem an diesem Todesmarsch teil.
Brutales Massenspektakel
Noch vor Carrie hatte Stephen King sich vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges an die Schreibmaschine gesetzt und den Todesmarsch zu Papier gebracht. Er hat ihn dann aber erst 1979 veröffentlicht – zunächst unter seinem Pseudonym Richard Bachmann. Die Bachmann-Bücher sind anders als die meisten der anderen Werke des Horrorpapstes. Sie sind roher und rauer, im Kern noch einmal deutlich nihilistischer und dystopischer.
Und das trifft natürlich auch auf den Todesmarsch zu. Wir erfahren weder im Film noch im Buch besonders viel über die Welt außerhalb. Es gab einen Krieg, den USA ist ihr Selbstverständnis abhanden gekommen und deshalb werden jedes Jahr 50 junge Männer (im Buch 100 Jugendliche) aus jedem Bundesstaat verheizt. Warum? Das erfahren wir nie wirklich. Es ist ein brutales Massenspektakel, das im Fernsehen übertragen und teils von Schaulustigen am Straßenrand bejubelt wird. Aber sonst? Nichts.
„Jede Hoffnung zu verlieren bedeutet Freiheit“
Stephen King bleibt die ganze Zeit bei den Jungen auf der Straße – und Tribute von Panem-Regisseur Francis Lawrence tut es ihm gleich. Als Zuschauer und als Leser will man das „Warum?“ erfahren, aber es bleibt im Dunkeln. Außer bei Ray Garrity, den Philip Seymour Hoffmans Sohn Cooper ganz famos spielt. Ray will sich am Major rächen. Die anderen Jungen ziehen primär aus Hoffnungslosigkeit zum Marsch, der dem Gewinner das große Glück verspricht: ein freier Wunsch und Reichtum bis ans Ende des Lebens.
In einer hoffnungslosen Welt voller Entbehrungen und ohne Meinungsfreiheit ist eine 1-zu-50-Chance vielleicht besser als gar nichts. Zumindest träumen die anderen Jungen anfangs davon, am Ende ein besseres Leben zu haben. Doch diese Hoffnung kippt im Laufe des, äh, Laufes immer mehr. Wirken sie anfangs noch wie ein bunt zusammengewürfelter Haufen Pfadfinder, ändert sich das spätestens, wenn der erste Junge „disqualifiziert“ wird.
Wer bin ich?
Was bleibt, sind die großen Fragen, die zwangsläufig aufkommen, wenn es um alles oder nichts geht: Wer bin ich? Was macht mich aus? Will ich um jeden Preis gewinnen und dabei meine Menschlichkeit opfern? Ray findet unter anderem in Peter McVries (David Jonsson) einen Freund fürs Leben – so kurz dieses auch nur noch sein mag. David Jonnson spielt seinen Part ebenfalls vorzüglich, sein Peter gibt der ganzen Truppe Hoffnung, wo keine ist.
Denn alle Nase lang wird ein Junge erschossen. Dabei werden wenige Gefangene gemacht. Die Gore-Elemente hätten vermutlich nicht sein müssen, geben aber das Buch wieder, ebenso wie die verzweifelten Versuche der Jungen, ihren Darm zu entleeren. Erschöpfung, Schlafmangel, wunde Füße, Wind und Wetter – alles beinahe voyeuristisch beobachtet von uns Zuschauern und von Mark Hamill, der als Major immer wieder vorbeischaut, um seine Dominanz und Macht zu präsentieren. Der aber, ebenso wie die Außenwelt, insgesamt blass bleibt.
Nah am Buch
Auch wenn das Buch bei mir schon ein Weilchen her ist: Für mich handelt es sich insgesamt um eine akkurate Verfilmung. Francis Lawrence ändert naturgemäß einige Details (Teilnehmeranzahl, Altersklasse), aber durch den Fokus auf der Dynamik zwischen den Jungen tut es der Geschichte keinen Abbruch. Auch am Ende wurde gefeilt; ich bin zwar unschlüssig, ob mir die Filmversion hier besser gefallen will – sie ergibt in jedem Fall (auch) Sinn.
In dem Sinne Spaß gemacht hat der Film natürlich trotzdem nicht. Eine dystopische Dreckswelt, in der ein Alphamännchen MAGA-Sprüche zum Besten gibt, mehr Showmaster als Oberbefehlshaber mimt und junge Männer nicht nur in den sicheren Tod schickt, sondern im Zweifelsfall selbst dafür sorgt, ist eine nicht zu unterschätzende Parallele zum Hier und Jetzt. Da brauche ich auch keine weiteren Infos, was der Welt denn nun genau widerfahren ist, da mir das Innenleben der verzweifelten Jungen als Spiegel der Welt ausreicht.
MADDIN MEINT
Vermutlich bin ich hier gegen den Trend: Ich mochte das Buch wirklich, aber der Film hat mich mehr berührt. Das liegt zu einem großen Teil in der fast greifbaren Freundschaft zwischen Garrity und McVries begründet, aber auch daran, dass hier nicht versucht wurde, mehr zu inszenieren, als wirklich da war. Die hoffnungslose Welt ist auch so ausreichend – selbst ohne den Hintergrund zu kennen. Die Verzweiflung wird hautnah gezeigt und macht das ganze Unterfangen sehr beklemmend. Sehr guter Film – düstere Aussichten.

